Mit zunehmenden Alter fällt mir persönlich auf, dass mein persönliches aktives Erinnern wohl durch das sich verstärkende Bewusstsein motiviert ist, wie viel ich in meinem und von meinem Leben schon vergessen habe (da sind dann die digitalen Daten ein ernüchternder Spiegel). Wenn das auf persönlicher Ebene schon so weitreichend ist, ist aktives Erinnern und Festhalten wohl notwendig. Und wenn der Versuch scheitert? Dennoch ist niemand vergessen. Das hoffe ich jedenfalls.

Und wie soll ich nun über Welzenbacher schreiben? Einleitung – Hauptteil – Schluss? Beruflich schreibe ich mittlerweile vorwiegend Gutachten. Also denke ich, dass wohl ein allerdings persönlich gefärbter Befund meine ersten Eindrücke [1] über Welzenbachers Spuren die mir angemessene Form sein wird.

Entbehrlich scheint mir eine architekturspezifische Abhandlung; dazu sind andere berufen. Ich beschränke mich auf meine persönlichen Eindrücke anhand von vier „Spuren“

Spur Nr. 1, Adambräu

Wie lange steht das vormalige Adambräu-Sudhaus nun schon da? Sicher – man kann nachlesen, dass es 1926/27 erbaut wurde. Doch von diesen Daten abgesehen, deutete für mich zum Zeitpunkt meines ersten Wahrnehmens dieses Gebäudes nichts auf sein tatsächliches Alter hin. Wenn man mir damals, am Anfang meiner Volksschulzeit, gesagt hätte, es sei bei meiner Geburt (1967) erbaut worden, hätte ich es wahrscheinlich geglaubt – und ich denke, dass ich tatsächlich in eben dieser Meinung verblieb, bis zu einer Exkursion in der HTL-Zeit. Damals war ich erstaunt darüber, dass das Bauwerk gleich alt wie mein Vater sei. Dieses Gefühl der Verwunderung habe ich noch recht unmittelbar in Erinnerung behalten.

Spur Nr. 2, IKB-Hochhaus

Das Hochhaus der IKB war für mich im Gegensatz dazu ein reiner 50´er Jahre Bau, den ich immer mit dieser Zeit in Verbindung brachte. Zwar hat mir mein Vater erzählt, dass in den Dreißigerjahren vom Balkon über dem Haupteingang auf die fensterlose Westseite des Bürotrakts an der Salurnerstraße Mickeymouse-Filme projiziert wurden; doch hatte ich diese Begebenheit stets mit einem Bauwerk verknüpft, das im Krieg unwiederbringlich zerstört wurde. Dass die seltsame Haube am Dach das einzige Nachkriegsprodukt ist, erfuhr ich erst im Laufe meines Studiums.

Spur Nr. 3, Gasthof Wilder Mann

Die dumpfe Gestalt am Hauseck war für mich immer eines der Symbole der faschistischen Zeit. Zwar nahm ich Anfang der Volksschule diese Zeitalterszuordnung mangels konkreten Wissens darüber nicht vor; dass die Zeit bedrohlich gewesen sein musste, zeigte mir schon allein die Tatsache, dass man sich solche Gestalten ans Haus montierte.

Spur Nr. 4, Bundesbahnsiedlung Reichenau

Meinen ersten Fahrradrunden in der Stadt führten mich in die vergleichsweise ruhigen Straßen Pradls zwischen Amras und Roßsprung. Der allernördlichste Punkt dieser Ausflüge war der Platz, an dem das Fragment dieser Bundesbahnsiedlung steht. Die Dachform erinnerte mich eher an ein Lebkuchenhaus, bzw. an diverse Adventkalendermotive, die gerne Objekte aus dem fränkischen Raum abbilden. Damit stand das Gebäude in überraschenden Gegensatz zu den mir damals eher militärisch anmutenden Südtiroler-Siedlungsblöcke Pradls. Eine Insel inmitten unangenehmer Zeiten.

Wenn ich nun diese längst vergangenen Eindrücke und mein noch evidentes Gefühl dabei Revue passieren lasse, erscheint mir, dass ich ursprünglich nicht sagen hätte können, diese hier betrachteten Gebäude tragen die Handschrift eines einzelnen Architekten.

Selbst später, während meines Studiums mit Welzenbachers Werkdokumentation konfrontiert, die im Institut für Raumgestaltung in Modellform aufgearbeitet wurde, blieb die Verwunderung darüber, wie weit gestreut Welzenbachers Schaffen durchwegs blieb.

Da findet sich Zeitloses, wie auch aus der Zeit heraus gewachsenes wieder.

So sehr Architekten mit einem Stil, der es einem erlaubt zu sagen, das ist ein/e typischer/e xy, reizvoll sind [2], so ist es dennoch reizvoller, wenn da ein Rätsel übrig bleibt; man nicht mehr genau sagen kann, wer das Werk erdacht hat, sondern nur mehr feststellt, dass das Umfeld des Werks den Wert erkannt, es achtet, vielleicht sogar lieb gewonnen und befunden hat, es über mehrere Generationen zu behalten.

Das Werk Welzenbachers gehört in meinen Augen dazu.

Martin Schönherr, 22.02.2015


1 Wilhelm Stigler hat in seiner Vorlesung „Einführung in die Architektur“ immer wieder betont, wie wichtig es sei, sich kindliche Sichtweise zu erhalten, um Architektur unvoreingenommen einschätzen zu können. Das hat dazu geführt, dass ich versucht habe, meine damals noch rekonstrurierbaren ersten Erinnerungen an einzelne Gebäude bewusst zu bewahren.
2 Wobei ich mir da nicht sicher bin, ob der Reiz am Erkennen eines Stils mitunter eher der Selbstbespiegelung des eigenen enzyklopädischen Wissens, geschuldet ist.