Meine frühe Jugendzeit 1954 – 59 verbrachte ich damals noch in (Solbad) Hall in Tirol und in Krems an der Donau an der HTL für Hochbau. Ich lernte LW noch persönlich am Bahnhof kennen, nachdem er in Ferienzeiten seiner Lehrtätigkeit von Wien denselben Schnellzug nahm. Meine Eltern (Vater war Baumeister) kannten natürlich die Familie Welzenbacher und stellten mir somit eine Persönlichkeit vor, die eine eigene Ausstrahlung umgab: Langer Mantel, Baskenmütze und bescheidenes Reisegepäck, aber leider von seiner schweren Krankheit bereits gezeichnet. In Begleitung seiner aparten Frau in einer damals sehr konservativen Gesellschaft eine bleibende Erinnerung. In den Ferienzeiten besuchte ich natürlich die Bauten von LW in Hall, Absam und Innsbruck und war beeindruckt von den klaren Formen in Bezug zu Landschaft und alten Stadtstrukturen. Besonders das Parkhotel Seeber 1930/32 direkt an der alten Stadtmauer, dem Stadtgraben und anschließendem Kurpark gelegen imponierte. Die turmartige Erscheinung mit dem oberen Flachdachabschluss mit Sonnendeck, die leicht gebogene Fassade, die auskragenden begleitenden Balkone (ganz im Sinne des Bauhauses) war ein markanter Punkt in unmittelbarer Nähe der Haller Altstadt. Er ist bis heute noch gültig und war für einen jungen Schüler, der damals das Bauwesen beobachtete, durchaus prägend. Weiters konnte ich in Hall noch andere moderne Bauwerke kennen lernen, wie das alte Postgebäude 1911 von Professor Theodor Fischer (Lehrer von LW an der TU München) und das unmittelbar an das Parkhotel anschließende Kurhaus 1930/31 von Architekt Hans Illmer.
Bei meinem weiteren Werdegang von 1960 – 1964 an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, Meisterschule für Architektur bei Professor Dr. Roland Rainer, wurde mir LW näher gebracht. Assistent Architekt Bruno Dinhofer war LW Schüler und versuchte vor allem zahlreichen Hörerinnen und Hörern aus Tirol nicht nur die Lehre von RR sondern auch von LW entsprechend zu vermitteln. RR war mit seiner fast dogmatischen Auffassung, vor allem was die Behausungsfrage betraf, ein Thema, und LW mit seiner offenen Herangehensweise an besonderen städtebaulichen Stellen. Bei beiden standen aber immer klare Gliederungen, viel Grün, Licht und Sonne im Mittelpunkt. LW sprach laut Dinhofer von „seelischer Heimat für die Menschheit“. Zusätzlich wurden wir auf die internationale Bedeutung von LW mit seiner Ausstellungsbeteiligung 1932 im Museum of Modern Art New York aufmerksam gemacht. Er war der einzige österreichische Architekt der zur Teilnahme aufgefordert wurde, wo vor allem das Mehrfamilienhaus Treichl 1929/31 in Innsbruck (leider im 2. Weltkrieg zerstört) Beachtung fand. Es zeigt ähnlich wie später das Parkhotel in Hall eine klare Bauform, orientiert sich in seiner Bewegung und Höhe an die Allee mit einem turmartigen Flachdachabschluss.
LW verbrachte die letzten Jahre seiner Lehrtätigkeit in Wien, lebte sehr bescheiden an der Akademie (er hatte keine eigene Wohnung) und beteiligt sich vor allem bei städtebaulichen Wettbewerben in Wien: 1946 an der Verbauung am Donaukanal in Wien, 1949 mit einer Studie für den Karlsplatz und Opernplatz. Mit seinem großzügigen Denken, das er bereits 1933 für eine städtebauliche Überlegung in Antwerpen / Scheldeufer beschritt, konzipierte er radial zur Wasserführung, langgestreckte zeilenartige Baukörper mit dazwischen liegenden offenen Höfen. In die öffentlichen Zentren stellte er Doppelhochhäuser mit einzelnen Verbindungen. LW sprach laut Dinhofer von seinen „Burschen“. Heute würden diese Überlegungen – benachbarte Gebiete miteinzubeziehen und aufzuwerten – anders beurteilt werden als die nach 1945 bis heute erfolgten Realisierungen.
Während meiner Studienzeit und anschließend bis 1968 in Wien praktizierte ich bei verschiedenen Architekten der österreichischen Nachkriegsgeneration die heute noch eine entsprechende Reputation aufweisen. Unter anderem bei Architekt Ottokar Uhl, einem LW-Schüler. Seine Hinweise brachten mich zur Begehung des Hauses Rosenbauer 1929/30 in Linz, Haus Heyrovsky 1932 und Haus Buchroithner 1929/30 beide am Zellersee / Szbg. Die Situierung der Häuser an Hangkanten, das Hinführen zu den Eingängen, das weitere Begehen über Raumfolgen (manchmal über Oberlicht) zu besonderen Stellen von Aussicht und Besonnung waren für mich damals überaus eindrucksvoll. Begleitende Balkone unterstrichen auch die geschwungenen Fassaden mit den langgestreckten Fensterbändern. Diese weißen, kubischen Häuser sind wohl mit dem Haus Gamarith 1930/34 am Attersee von Architekt Ernst Plischke durchaus Ikonen der österreichischen Architektur der 1920er Jahre und international gemeinsam mit den Bauten von Architekt Erich Mendelsohn in Deutschland erwähnenswert. Zusätzlich erfuhr ich über die Lehre von LW vor allem, dass seine Vermittlung über gleichzeitiges Zeichnen erfolgte und eine starke Ausdruckskraft hatte. Besonders seine klaren Zeichnungen auch für Wettbewerbe, Projekte und spätere Realisierungen haben ihren Stellenwert auch dadurch bewiesen, dass die grafische Sammlung der Albertina in Wien sie aufgenommen hat.
In meiner Zeit bei Ottokar Uhl entstand in Zusammenarbeit mit Friedrich Achleitner eine Monografie über LW im Residenzverlag (grafische Gestaltung Walter Pichler) – somit war für mich eine weitere Informationsquelle gegeben, die bis heute noch einen unschätzbaren Wert für mich hat. Eine Besonderheit war das Haus Schulz 1928/29 in Recklinghausen / Westfalen. Ein ebenfalls kubisches Haus mit Ziegeln verkleidet, innen weiß verputzt und mit einer versenkbaren Wand im Wohnraum. Der aufgelöste Grundriss mit Raumverschränkungen erlaubt besondere Beziehungen zwischen Innen- und Außenräumen. Dieses Haus ist durchaus mit dem Entwurf für die Villa Wolf in Gubin / Deutschland von Mies van der Rohe zu vergleichen. Nur wenige Häuser konnten diese zeitgenössische Qualität aufweisen.
Nach meiner Rückkehr 1968 nach Tirol und weiterer Berufspraxis begann mit der Lehrtätigkeit 1972 an der TU und später an der HTL 2 auch meine eigene Tätigkeit als Architekt. Zahlreiche Ausflüge mit Familie, Freunden, Studierenden und Schülerinnen und Schülern führten nach Dreikirchen zu den Häusern von LW – Haus Settari 1922/23 und Haus Baldauf 1922/23. Sie wurden als Schlüsselbauten von LW bezeichnet. Vorbildhaft für landschaftsbezogenes Bauen wird der Bewegungsrythmus der Topografie aufgenommen und setzt sich im Inneren des Hauses fort. Ein zentraler Kamin übers Dach geführt festigt das Bauvolumen an das Gelände. Später unter Professor Architekt Othmar Barth an der TU wurden viele Modelle seines Werks angeführt und somit seine architektonischen Vorstellungen nachvollziehbar. Dies war eine wichtige Information über den Stellenwert von LW in der österreichischen Architekturgeschichte. Othmar Barth war selbst ein Architekt, dem Landschaft und Bauen ein besonderes Anliegen waren.
Eine Erinnerung an LW bleibt bis heute durch den Abriss 1976 des legendären Cafe Greif 1949 bei der Triumphpforte. Das „Greif“ war mit seiner Großzügigkeit, seiner geschwungenen Form und Höhenentwicklung, seinen schlanken Säulen für ein schwebendes Dach, Öffnungen zum Straßenraum und großzügiger Baumbepflanzung Richtung Innenhof und seiner Möblierung ein städtischer Treff der wohl in seiner Stimmung einmalig war. Ich verbrachte damals dort als Lehrender viele Stunden mit Zeichenunterricht und Diskussionen. Der Abriss erfolgte ohne große Einwände von Behörden und Denkmalamt. Zu dieser Zeit gab es noch keinen Schutz moderner Zwischenkriegsbauten, die einem eher freien intellektuellen Kreis zugedacht waren. Fast gleichzeitig entstand in unmittelbarer Nähe das Hotel Holiday Inn und später das Kasino. Dieses Bauwerk nahm in keiner Weise Wettbewerbsentwürfe für die Zelgergründe aus den 30er Jahren auf, die unter anderem von LW stammten; bis heute eine sehr bedenkliche städtebauliche Entwicklung. Es wäre denkbar anlässlich des sechzigsten Todestages von Lois Welzenbacher eine entsprechende Adaptierung plus Neubau im Sinne seiner städtebaulichen Ideen aufzugreifen. Gleichzeitig könnte der obere Abschluss des Verwaltungsgebäudes der IKB (erstes Hochhaus für Innsbruck von LW) zurückgebaut werden. Auch das Innere, wie das erhaltene Stiegenhaus, ließe sich ohne weiteres für ein zeitgemäßes Bürohaus erneuern. Gerade dieser städtebauliche Akzent mit dem turmartigen Abschluss mit einer großen Uhr an zwei Seiten wäre ein entsprechender Hinweis auf ein öffentliches Gebäude. Das in unmittelbarer Nähe gelegene Adambräu 1926/28 nahe an den Bahngeleisen des HB konnte auch auf besondere Initiative von Arno Ritter (aut) und Professor Dr. Rainer Graefe (TU, Archiv für Baukunst) einer neuen Nutzung zugeführt werden. Durch deine, Thomas Giners und Erich Wucherers Überzeugungsarbeit, dieses Bräuhochhaus für Ausstellungsflächen, Büros, Seminare und Archivräume adäquat zu nutzen, konnte dieser außergewöhnliche Industriebau gerettet werden. Es ist heute faszinierend im alten Braukesselraum bei Vernissagen und Vorträgen über die großen, zart gegliederten Glasfenster auf die vorbeifahrenden Züge zu blicken. Bei Entstehung war der Einblick von den Zügen auf den blank polierten Kupferkesseln zu sehen. In den oberen Geschoßen ist das Archiv für Baukunst der TU untergebracht mit zahlreichen Nachlässen von Tiroler Architekten. Auch diese Räume haben außergewöhnliche Raumqualitäten und zeigen, dass Industriebaudenkmäler einer vielfachen Nutzung zugeführt werden können. Das Adambräu ist somit sicher aufgrund seiner Geschichte und der neuen Adaptierung zu einer der interessantesten Architekturvermittlungshäuser Österreichs geworden.
Im Jahre 2001 wurde ich nach einem vorgeschaltenen Bewerbungsverfahren zur Adaptierung und Erweiterung des Parkhotels 1930/31 für diesen Wettbewerb ausgewählt, Die Initiative ging vor allem von Architekt Bruno Sandbichler und zusätzlich engagierten europäischen und internationalen Architekten aus. Der Stadt Hall wurde mühsam der Wert dieses Bauwerkes näher gebracht, das bereits in vielen Teilen völlig umgestaltet war und sicher keiner Bereicherung mehr im Stadtbild entsprach. Ich erkannte aber trotzdem vor allem die außergwöhnliche Atmosphäre dieser Stelle. Ein hohes Bauvolumen in einem parkähnlichen Grundstück, das frei von Bindungen Zimmer und Balkone mit der natürlichen Umgebung in Einklang brachte. Meine Herangehensweise ging von dem Bestreben aus, das städtebauliche Ensemble mit dem Kurhaus 1930 von Architekt Hans Illmer möglichst großzügig zu erhalten und griff in adäquater Form diesen städtebaulichen Anspruch auf. Ich wählte eine ebenerdige Erschließung des vorgelagerten Kurparkes, Eingang über die gedeckte Vorhalle des Kurhauses. Sämtliche neuen Räume für die Organisation des Hotels kamen damit unter die Erde mit großzügigen, bepflanzten Lichthöfen. Der Turm von LW hätte wahrscheinlich noch eine Steigerung erfahren. Die zusätzlichen geforderten Zimmer wären in einem aufgeständerten Baukörper (Scheibe) dreigeschossig im Hintergrund begleitend situiert worden. Teilweise hätte ein Wasserbecken Richtung Kurpark eine Erweiterung erfahren. Dieser Ansatz wurde laut Juryinformation durch seine wohl zu starke landscape – Ausformung nicht gewürdigt. Für die von Architekt Dieter Henke und Architektin Martha Schreieck neu konzipierte zweite Turmanordnung durchaus verständlich, nachdem eine modifizierte Form mit neuer Materialbehandlung mit Glas und Stahl sicher einen zusätzlichen positiven städtebaulichen Akzent erfahren hat. LW hat immer wieder Doppelhochhäuser in seinen städtebaulichen Studien dargestellt, somit ist man sicher dem Anspruch einer entsprechenden Urbanisierung gerecht geworden.
Meine letzte Begegnung mit LW und seinem außergewöhnlichen Werk – das wie ich glaube bis heute noch nicht entsprechend erkannt wurde – war in den letzten Jahren das Haus Buchroithner im Saggen 1925/30 in Innsbruck. Die Ausführung entspricht nicht ganz dem Entwurf und wurde später durch Umbauten verändert. Architekt Rainer Noldin adaptierte das Haus für den neuen Besitzer in Zusammenarbeit mit dem SOG-Beirat sehr engagiert. Ein durchaus vertretbarer Dachbodenausbau mit Terrasse ist dazu gekommen. Dieses Haus zeigt, wie LW die Grundstücksgrenzen, Straßenraum und Platz zu einer bewegten Form gebracht hat. Die Grundrissorganisation orientiert sich danach und bleibt auch im Inneren und Raumzusammenhängen (zusätzliche Durchgangstüren) erkennbar. Eine Besonderheit ist die Belichtung, Besonnung und Aussichtswarte. Einer Langzeitmieterin konnte ich bei Einrichtungsfragen behilflich sein – Originaleinbauschränke und Leuchten wurden restauriert und zeigen heute ein kultiviertes Wohnen in einer Saggenvilla auf.
Nachdem sich im Jahr 2015 der Todestag von Lois Welzenbacher zum 60. Mal jährt, wäre es meiner Ansicht nach durchaus wünschenswert seine Bedeutung in Erinnerung zu bringen. LW nimmt in der österreichischen und internationalen Entwicklung der modernen Architektur eine Sonderstellung ein. Er zählt nach Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Hoffmann zu den bedeutendsten Baukünstlern der 20er und 30er Jahre. Viele seiner Absichten haben heute eine starke Aktualität und könnten Anregungen bringen, welche dem derzeit im Vordergrund stehenden Bauen für Investment- und Eventarchitekturen ihre Bedeutung nehmen könnten. Sein Wirken wäre in seiner Art Bescheidenheit heute durchaus wünschenswert.
Dieter Tuscher, 27. April 2015