2005: Immer wieder werden Orte durch Architektur zerstört, banalisiert, verletzt.

Wieder und wieder werden Landschaften besetzt, die Architektur geht mit ihnen um, wie es ihr gefällt. Was bedeutet, sie vernichtet Spuren.

Louisiana: ein Schock. Ein Ereignis, das keinen kalt lässt. Das eine längst vergessene Wahrheit ans Licht bringt:

Architektur besitzt die Kraft, über sich hinaus zu weisen. Sie verweist auf Landschaft, Geschichte, Farben, Pflanzen, Horizonte, Licht.

Architektur ist vermessen und angemessen, ist Teil der Welt, ist lebendig, einmalig: louisianisch eben.

Sie ist ein Mikrokosmos, ein Bubble.

Kein Bild und kein Wort reichen aus, um ihre Tiefe auszuloten. Man muss sie am eigenen Leib erfahren.

Sie könnte unsere Welt erweitern, jetzt, da die Welt sich immer weiter verkleinert.

Wir leben in einer Zeit, in der wir immer schneller von hier nach da kommen, 
in der wir alle den gleichen Übertragungen folgen und die gleichen Katastrophen gleiche Gefühle auslösen,
in der wir dieselben Hits summen,
dieselben Meisterschaften bejubeln,
dieselben Filme sehen,
die gleichen Planetensysteme kennen,
in der der Präsident eines einzigen Landes die ganze Welt beherrschen möchte,
in der wir uns durch identische Einkaufszentren zwängen
und unsere Arbeit hinter den gleichen Vorhangfassaden verrichten …

Wir leben in einer Zeit, da die wenigen Vorteile, die eine sich immer weiter verkleinernde Welt mit sich bringen könnte, auf der globalen Agenda nicht auftauchen. Denn wenn wir doch alle die gleichen Kanäle benutzen, warum lässt sich dann das Analphabetentum nicht rascher beseitigen,
wenn Mediziner in kürzester Zeit von hier nach dort gelangen, warum können sie Virusopfer nicht retten?

In einer Welt der Preis-Leistungs-Verhältnisse stößt auch die Architektur an solche Grenzen.

Die globale Ökonomie richtet sich gegen die Architektur des Ortes. Wozu noch „Kontext“ ?

Keiner sagt etwas dazu, obwohl die Situation sich von Tag zu Tag weiter verschärft:
Die Architekturkritik. die sich in ihrer eigenen Welt ziemlich sicher fühlt, kokettiert mit Ästhetik und Stil.

Sie verschließt die Augen vor allem, was wirklich ist, und übertüncht die dringenden Fragen des Tages:
Was bleibt von den Orten, wenn die globale Architektur über sie hinweggefegt ist? Wie soll die Architektur des Besonderen einer Architektur der Verallgemeinerung standhalten? Ist denn unsere Moderne, ein direkter Nachfahre der Moderne des 20. Jahrhunderts, von allen kritischen Geistern verlassen?

Sollte sie nicht mehr denn je nach Sachlogik, nach inneren und äußeren Bezügen, nach Harmonien oder Widersprüchen suchen, um durch Architektur eine adäquate Antwort auf gegebene Umstände zu liefern? Umstände des Hier und Jetzt!

Loiusiana ist der symbolische Austragungsort des Kampfes zwischen David und Goliath, zwischen den Partisanen einer bodenständigen Architektur und den Profiteuren einer No-Kontext-Architektur.

Nur lokal gegen global? Der Konflikt geht zweifellos tiefer.

Er hat zum einen mit unserem Wissen bzw. Nicht-Wissen zu tun. Das Wissen um Architektur ist von Grund auf zersplittert, weil jede Zivilisation praktisch ein anderes Repertoire hervorbringt. Reisen ist für den, der baut, als Ausbildung unverzichtbar. Denken wir nur an die Reisen der klassischen Architekten nach Ägypten, Griechenland oder Rom.

Louisiana war für mich die Erfahrung einer „Reise nach Kalifornien“. Dort erreichten mich widersprüchliche Informationen aus ganz verschiedenen Quellen und sie brachten mir eine nie da gewesene Situation nahe. Wo auch immer ich mich aufhalte, sehe ich mich von einer immer gleichen Architektur umgeben, ich erkenne die funktionalistischen Attitüden und muss mir die Ideologien der Moderne des 20. Jahrhunderts vereinfacht noch einmal zumuten. Die Anfänge der Charta von Athen waren ebenso human wie die für den Kommunismus in Moskau, und ebenso schnell wie dieser wurde sie zur dogmatischen Karikatur ihrer selbst. Fanatiker und Zyniker nahmen das Ruder in die Hand und hinterließen Scherbenhaufen. Politisch wie städtebaulich.

Es geht um die Freude, auf dieser Erde zu leben!

Was wir an den Pranger stellen müssen: sture Stadtplanung, mächtige Netzwerke und die Negation des

Genius loci. Verdammen wir die Automatik, mit der die Identität der Städte vernichtet wird, gleichgültig, auf welchem Kontinent, gleichgültig, in welchem Klima. Geklonte Büroräume, Wohnhäuser, Supermärkte – weg damit! Verflucht sei alles, was vorausgedacht ist, um die Menschen zu entmutigen, selber zu denken, selber zu sehen.

Verweigern wir uns territorialen Ansprüchen und architektonischen Regelwerken (ja, auch diesen! Denn Architektur gibt es in jedwedem Maßstab, Städtebau als solcher aber existiert nicht! Städtebau ist geglättete, geschönte, dienstbare Makro-Struktur, ein Alibi für die Produktion von gesichtsloser Architektur.) Weg mit den blinden Regeln, analysieren wir die Orte, wie sie sind, handeln wir als Strukturalisten!

Wir sollten uns wieder sinnliche und poetische Richtlinien zum Handeln schaffen, wir sollten von Farben sprechen, von Düften, vom Typischen und Atypischen, von Eigenschaften, die dem Regen zu verdanken sind, dem Wind, dem Meer oder den Bergen. Richtlinien, die das zeiträumliche Kontinuum berücksichtigen, die das vorhandene Chaos einbeziehen und Verwandlungen voraussehen, die sich der fraktalen Struktur unserer Städte in jedwedem Maßstab annehmen.

Der Anfang muss immer sinnlich und einmalig sein, damit wir uns den allgemeinen Regeln und der dominanten Technik widersetzen können. Keine Zugeständnisse an die Mächte, die sich hinter den Forderungen nach Transport, Energie, Hygiene verbergen.

Wer das Spezifische meint, geht anders vor. Er setzt auf die Ressourcen des Ortes und des Augenblicks, er betont das Immaterielle.

Wie bedient man sich dessen, was es nur hier und nirgendwo anders gibt?

Wie unterscheidet man, ohne zu karikieren?

Wie dringt man in die Tiefe?

„Architecturer“ bedeutet für mich, etwas als Architektur sehen, etwas in Architektur verwandeln.

Auch die ganz großen Dimensionen dürfen uns nicht verführen zu glauben, wir entwerfen ex nihilo.

Architekturieren heißt transformieren, heißt, etwas, das es schon gibt, mit System in etwas anderes zu verwandeln.

Architekturieren heißt, den Ablagerungen der Orte nachzuspüren, die sich wie von selbst anbieten, es bedeutet aufdecken, erkennen, sich orientieren, die gelebte Geschichte weiterzuschreiben und deren Spuren zu erhalten, heißt, auf die Atemzüge des Ortes zu hören, seinen Pulsschlag zu fühlen, seinen Rhythmus in sich aufzunehmen und erst dann weiterzudenken, Architektur ist nur ein Modus in einem physikalischen, biologischen, atomaren Kontinuum.

Als ob wir es mit einem Fragment unseres unermesslichen Universums zu tun hätten, dessen Entschlüsselungen auf der Makro- wie auf der Nano-Ebene liegen und uns schwindeln machen.

Gleichgültig, in welchem Maßstab wir arbeiten, ob Lageplan oder Gebäude, wir müssen uns von dem Ort, der schon eine Geschichte mit sich bringt, verunsichern lassen.

Was sind uns Wolken, Pflanzen, lebende Wesen. Wie übersetzen wir das, was wir sehen, in Zeichen, in Spiegelungen, in einen neuen Zusammenhang?

Wie holen wir die verborgenen Vibrationen an die Oberfläche, wo graben wir nach der Seele des Ortes?

Es ist zweifellos eine Frage der Poesie, denn die Poesie allein weiß um die „Metaphysik des Augenblicks“, sie führt uns bis an die Grenzen dessen, was wir gerade noch beherrschen, ins Mystische, Fragile oder vollkommen Natürliche …

Wir müssen die Veränderungen über die Zeit antizipieren, die Patina, die in Würde alternden Materialien.

Wir müssen in der Unvollkommenheit die Grenzen des Erkennbaren sehen.

Belegen wir Louisiana mit einem Bann: Es darf hier keine gefühlskalte Architektur geben, keine artistischen Spielereien von architektonischen Globetrottern, keine probaten Details, keine Wiederholungen, keine ewig gültigen Aussagen, keine emotionale Impotenz.

Die kontrollierte Wiederholung des Probaten ist unsinnlich, ist, was Architektur nicht sein soll. Also: Kontrolle außer Kontrolle. Schwere und Pomp in der Architektur sind Vektoren von Pedanterie.

Im Detail wie im großen Maßstab muss man erfinderisch sein dürfen: Alles darf in Frage gestellt werden, es geht darum, die Welt neu zu ordnen und zu bereichern. Provozieren wir durch neue Oberflächen, eine andere Lichtführung, innovative Techniken.

Ein erprobtes Detail ist ebenso verwerflich wie eine erprobte Architektur, die, vorgedacht und ihrer selbst sicher, kein Risiko eingeht und deshalb weder sinnlich noch anpassungsfähig ist, ihre wesentliche Eigenschaft besteht doch darin, dass sie überall hinpasst, dass sie uniform ist und sich verkaufen lässt, dass sie Unterschiede zudeckt. Und wuchert. Sie simplifiziert und systematisiert. Sie bleibt immer auf der sicheren Seite und deshalb weit entfernt von allem Charme, denn der wäre natürlich.

Nennen wir eine Architektur louisianisch, die ihre Einzigartigkeit aus der Zwiesprache mit dem Ort erzeugt, die aus der Situation heraus entsteht.

Louisiana hat mit den Rezepturen von Künstler-Architekten nichts zu tun, die ihr beschränktes formales Repertoire als „Signatur“ verkaufen und die man zu jeder Zeit einfliegen kann. Deren Arbeiten sind – als Nachwehen des 20. Jahrhunderts – überall einsetzbar und überall willkommen, weil unverbindlich und unverortet. Sie bevölkern die White Cubes der Museen der Welt.

Aber anders als Kunstwerke, die sich isolieren lassen, sind architektonische Entwürfe nicht auf sich selbst gestellt, sondern zum Dialog verdammt, also üben sie Anpassung oder werfen sich in Pose, beides ist lächerlich, da ihnen doch jede Art von surrealistischem Touch abgeht …

Entwerfen heißt, etwas in einer bestimmten Zeit für einen bestimmten Ort zu erfinden, wobei erfinden heißt: Es materialisiert sich der Wille, die Sehnsucht und das Wissen von einigen Menschen. Denn wir sind dabei nie ganz allein. Obwohl Architektur immer für einen gegebenen Ort und eine bestimmte Person (oder Personen) gedacht ist, wendet sie sich an alle.

Es ist höchste Zeit, die Architektur von der Diskussion um Stile zu erlösen.

Unsere Zeit braucht Architekten, die an sich zweifeln, die suchen und lange nicht daran glauben, überhaupt fündig geworden zu sein,
Architekten, die sich gefährden, sich auf Empirisches einlassen,
die den Umweg über die Konstruktion gehen,
die sich selbst verleugnen können,
die Schimmelpilze in ihren Fensterlaibungen entdecken und wissen, was das bedeutet. Überlassen wir den Architekten, die sich als Ästheten fühlen, das kosmetische Übertünchen selbstgefälliger Siedlungen.

Von nun an sollte die Architektur auf das setzen, was nicht beschrieben und nicht erklärt werden kann.

Und auf die Unvollkommenheit dessen, was sie zu leisten vermag.

Ein Architekt weiß erst, dass er an seine Grenzen gekommen ist,
wenn er Entwerfen als Modifizieren ansieht,
wenn er nicht mehr auf Bestätigung aus ist,
wenn er sich auf Anspielungen einlässt,
wenn er Errichten als Einfügen interpretiert
und statt von Bauen von Einordnen redet,
wenn es ihm nicht um Positionierung, sondern um Überlagerung geht,
wenn er statt an Eindeutigkeit an Störung interessiert ist,
wenn er an die Stelle purer Addition gewisse Umwege setzt
und statt einer sauberen Kalligrafie für mehrfach Überzeichnetes zu haben ist.

Dem archaischen Ziel von Architektur, eine Situation zu beherrschen und ein Monument für die Ewigkeit zu errichten, setzen wir entgegen: Reicht es nicht, ein paar Menschen durch Architektur Freude am Leben zu geben?

Erinnern wir uns, dass Architektur oft genug ein Instrument der Unterdrückung war, der Konditionierung von Verhaltensweisen. Erlauben wir nie wieder, dass Genuss verteufelt wird, schon gar nicht im Privaten, woher wir alle unser Gleichgewicht beziehen.

Identifizieren wir uns!

Jeder trägt eine mächtige Welt in sich.

Werden wir uns der poetischen Kräfte bewusst, die jedem Menschen zur Verfügung stehen, auch wenn sie manchmal noch so beunruhigend sein mögen.

Keine Fesseln mehr, keine Fertig-Existenzen.
Keine digitale Architektur, die uns digitalisiert.
Keine geklonten Arbeitsplätze.
Keine genormten Wohnungen.
Wir wollen weiterhin reisen,
wir wollen weiterhin Live-Musik hören,
wir wollen weiterhin in unserer Umgebung so zu Hause sein wie in unserem Körper,
wir wollen mit Menschen zusammenkommen, die ihre eigene Kultur mit sich bringen,
wir wollen Farben sehen, die wir nie zuvor gesehen haben.

Architektur ist gemacht für Variationen.

Sie bleibt, während das Leben ein- und wieder auszieht.

Architektur, die irgendwo abgeladen wird und sich nicht anpassen kann, wird niemals eins mit dem Ort und den Menschen.

Architektur muss absorbiert werden und selbst absorbieren,
sie muss sich beeindrucken lassen und selbst beeindrucken, 
sie muss aufnehmen und ausstrahlen.

Lieben wir die Architektur, die das zustande bringt, die funktioniert wie Licht,
das die Topografie lesbar macht, die Weite der Felder, den Wind, Himmel und Erde, Wasser und Feuer, Gerüche, Bäume, Gräser, Blumen, Moos …

Lieben wir die Architektur, die Bräuche bewahrt und zugleich mit allen Informationskanälen der Welt verbunden ist,
die Architektur, die von vergangenen Epochen und den Menschen von damals erzählt,
die Architektur, die mit der Zeit, aus der sie stammt, im Einklang ist.

Wer noch immer den Archetypen des 20. Jahrhunderts nachhängt, krankt an Diachronie. Er verschmäht das leben, wie es ist.

Architektur ist zeitgebunden. Wir wissen, dass sie verletzlich und sterblich ist, und hoffen doch, dass sie lebensfähig sei.

Nehmen wir an, dass sie gerade aus dem Dunkel wieder auftaucht und eines Tages ins Dunkel zurückkehrt.

Spontane Architektur – spezifische, louisianische – spinnt den Faden zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Mineral und Pflanze, zwischen dem Augenblick und der Ewigkeit, zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.

Aus ihr entstehen Orte, die aufblühen und irgendwann wieder verschwinden. Orte, die ihr langsames, pathetisches Scheitern von Anfang an in sich tragen.

Denn das Gefühl für Zeitlichkeit geht in alles ein: Es färbt die Überraschungen. die das Leben so mit sich bringt, es relativiert die Verlässlichkeit von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, es produziert eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Vernachlässigung und Verfall.

Die louisianischen Architekturen träumen, sie sind still, ruinös, Orte des Vergessens. Gleichzeitig archäologische Fundorte, denn sie machen es möglich, eine ambivalente Vergangenheit neu zu interpretieren.

Sie rühren uns an, denn sie wurden erträumt wie Lebewesen, unsicher, aufbegehrend, manchmal verzweifelt, ausgesetzt, hingerichtet, aber nicht vergessen.

Wie der Phönix aus der Asche belichten sie sekundenlang unsere Vorstellung von Ewigkeit.

Unsicherheit, Einfachheit, die Bescheidenheit der Mittel und Materialien lassen uns hoffen, dass solche Architektur immer möglich ist, ganz gleich, unter welchen ökonomischen Bedingungen – und dass sie die Einstellung der Politik zu den Elendsquartieren beschämt.

Schönheit in der Unsicherheit zu suchen heißt nicht, die Verzweiflung zu ignorieren, die mit bestimmten Lebensbedingungen einhergeht, es heißt nur, die Kraft und die Würde des Lebens auch in extremen Situationen zu erkennen und die unauslotbare Tiefe des Menschlichen.

Irgendwie verstehen wir jetzt. warum die Bewohner von Favelas oder Gecekondus ihre selbst gebauten Häuser, die immer improvisiert und nie ganz fertig sind, lieber haben als die standardisierten Betonkisten, die ihnen das Wohnen vorschreiben.

Analysieren ist eine Pflicht, Verstehen ein tiefes Bedürfnis, die Verhältnisse herauszufordern eine Bedingung der Evolution. Wir denken mit unseren Sinnen, wir fühlen durch unsere Ideen. Widerspruch erhellt. Wahrnehmungen nähren Empfindungen.

Liebe erzeugt den Wunsch zu leben, zu teilen, zu geben und unser Leben auf andere auszurichten.

Entwerfen heißt verbinden, heißt dazugehören, heißt sich einmischen, heißt widersprechen.

Aber es heißt auch, das Träge mit dem Lebendigen in Einklang zu bringen.

Harmonie ist nicht immer nur Verbindlichkeit, sie kann unaussprechliche Freude sein oder unbegründete Hoffnung und sie kann unsere Vorstellungskraft bis zum Äußersten treiben.

Freude ist manchmal der unwahrscheinliche Katalysator, der begründeten Zweifel und schiere Hoffnungslosigkeit in Willensstärke umschlagen lässt.

Wir haben keinen Grund, diejenigen, die eigentlich schon aufgegeben haben (die Schwermütigen, die Psychopaten), noch einmal zu ermutigen, damit sie das tun, was sie schon immer getan haben.

In der Architektur ist Wiederholung krankhaft. Denn Leben ist Veränderung. Ihr angehenden Architekten, ihr angehenden Projektentwickler, lasst Euch gar nicht erst auf die Architektur, dieses schwierige Geschäft, ein, es sei denn, Ihr liebt es, immer wieder von vorn anzufangen, es sei denn, Ihr hasst Wiederholungen, wollt bauen und nicht zerstören und Euer Geld nicht damit verdienen, dem Leben anderer Fesseln anzulegen.

Zu wem die Dinge nicht sprechen, wer wegen einer Stadt oder einer Aussicht nicht den Kopf verliert, soll die Architektur vergessen Wer nicht lieber gibt statt zu nehmen, der setze besser auf ein anderes Pferd. Vorausgesetzt, er ist noch in der Lage zu erkennen, dass auch Zynismus seine Grenzen hat.

Architektur ist ein Geschenk, das aus den Tiefen unseres Selbst kommt Sie ist ganzer Einsatz, sie ist Erfindung von Welten, ist subtiler Genuss, schwierige Wahrnehmung, flüchtiges Glück. Lasst sie vibrieren. Lasst sie das ewig sich ändernde Universum abbilden!

Lasst sie temporäre Oasen errichten für die Nomaden, die sich alles, was sie vom Leben verlangen, durch Bewegung erschließen.

Wie kennzeichnen wir denn den Lauf unseres Lebens?
Wie übersetzen wir Ernst, Stille, Lust, Wahn, Trunkenheit, Euphorie oder Triumph in Stein?

Weg mit den gefühllosen Maschinen, die das Leben vergewaltigen. Es gibt Tiefen zu hören, Höhen zu atmen, Natur zu erschließen. Weg mit der automatischen Architektur, weg mit den Replikanten der Produktionsbedingungen!

Gehen wir auf sie los, zerfleischen wir sie! Weg, weg mit der seelenlosen Architektur, die nur als Provokation in die Welt gesetzt wird!

Es sind immer die zufälligen Begegnungen und Situationen, aus denen sich etwas machen lässt.

Die reizlose Architektur kann uns allenfalls als Grund dienen, um einmalige, komplizierte, widersprüchliche Figuren darüber zu legen.

Eine der Botschaften aus Louisiana lautet: Vervollständigen, umschiffen, diversifizieren und modifizieren wir das Leben auf eine in den probaten Rezepten für Architektur nie vorgesehene Weise.

Werden wir Louisianer! Leisten wir Widerstand!
Fordern wir die Architektur des Unwahrscheinlichen!

Wer sich mit Praxis und Poesie auf einen Ort einlässt, bindet sein Schicksal an diesen Ort. Werden wir Louisianer, wo immer wir sind: in Petra oder Sanaa, in Venedig oder Manhattan,
in Chartes oder Ronchamp in Fischerhütten oder Wüstenzelten,
in den Favelas von Rio oder den Industriebrachen an der Ruhr,
in Katsura oder in Louisiana.

Zu welcher Zeit auch immer, unter welchem Licht auch immer.

Halten wir uns an poetische Paradoxien. Wie Paul Valéry, wenn er schreibt:
„Le temps scintille et le songe est savoir.“ Rilke übersetzt: „…wird Zeit zum Glanz und Traum zur Wissenschaft.“

Aus dem Französischen: Martina Düttmann,
erschienen in: BAUWELT 28-29 / 2006

Dieser Text stammt aus der im Sommer 2005 von Jean Nouvel für das LOUISIANA MUSEUM OF MODERN ART in Humlebæk, Dänemark, kuratierten Ausstellung „Louisiana Manifesto“.

www.louisiana.dk